Pflegekongress Berlin, 5. - 6.11.2015

Pflegekongress Berlin, 5. - 6.11.2015

Was muss, was kann, was soll - Thrombose und Thromboseprophylaxe?

Die Prophylaxe venöser Thrombosen und Embolien ist nicht nur eine von vielen Maßnahmen im Krankenhaus, die das Leben von Patienten rettet, sondern ähnlich wie Hygienemaßnahmen eine der wichtigsten Aufgaben, die einer hohen Aufmerksamkeit bedarf. So hat die Agentur für Healthcare Research and Quality (AHRQ) in Amerika 2002 im Kampf um die Patientensicherheit die Prophylaxe venösen Thromboembolien (VTE) zur Nummer Eins ihrer wichtigsten Ziele ausgerufen (McDonald 2002). In Ihrem Aufruf “ Measures of Patient Safety Based on Hospital Administrative Data - The Patient Safety Indicators” fordern sie neben der Veränderung des Bewusstseins für die VTE - Prophylaxe eine V erbesserung der Rahmenbedingungen und eine klare Definition von Verantwortungen. Eine aktuelle Arbeit mit dem Titel „The global burden of unsafe medical care“ ( Jha 2013) beschäftigt sich erneut mit grundsätzlich vermeidbaren medizinischen Komplikationen während einer Krankenhausbehandlung. Sie schreibt nach den vermeidbaren Nebenwirkungen von Medikamenten den venösen Thromboembolien die größte Bedeutung zu. Dies unterstreicht erneut die Notwendigkeit einer strukturierten und effektiven VTE - Prophylaxe. Unabhängig von diesen klaren Statements zur VTE - Prophylaxe im stationären Bereich wird seit Jahren auch eine adäquate Prophylaxe bei ambulant behandelten Patienten gefordert. Hier gibt es noch großen Aufklärungsbedarf.

 

 

Chronisch, venös, insuffizient – Vom Venenschaden zur chronischen Wunde?

Als chronisch venöse Insuffizienz (CVI) bezeichnet man das klinisch Bild der subjektiven Beschwerden wie Schwere - und Spannungsgefühl verbunden mit Ödemen und typischen Hautveränderungen (bräunliche Verfärbungen durch Pigmentablagerung, entzündlich schuppende Veränderungen, Verfestigung der Haut und des Unterhautfettgewebes (Dermatoliposklerose) bis hin zur Ulkusbildung. Die chronisch venöse Insuffizienz ist Spätfolge einer Varikosis oder einer tiefen Beinvenenthrombose. Beide Krankheitsbilder führen zu einer venösen Hypertonie, dem eigentlichen pathologischen Korrelat der CVI. Die venöse Hypertonie reduziert den transkapillaren Druckgradient, verlängert die Diffusionsstrecke und begünstigt die Verstopfung von Kapillaren durch Zellagglomerate und führt so zur Ulkusbildung. Alle aufgeführten Mechanismen, die zur Minderperfusion des Gewebes führen, sind Folge der venösen Hypertonie und werden von entzündlichen Umgebungsreaktionen im Bereich de r Kapillaren begleitet. Das Ergebnis dieser Entzündungsprozesse ist der Umbau des Gewebes hin zu einer Dermatoliposklerose. Auf mikrozirkulatorischer Ebene ähneln venöse Ulzerationen einer ischämischen Wunde. Es finden sich auch bei venösen Ulzerationen eine verringerte Kapillardichte und eine Reduktion der transkutanen Sauerstoffwerte sowie der kapillären Blutflüsse (Stücker 2004, Kelechi 2007, Jünger 2000).

 

Nullzug, Kurzzug, Mittelzug oder Langzug – Wer kennt sich hier noch aus?

Die Kompressionstherapie hat in der Medizin eine lange Tradition und im Bereich der Erkrankungen von Venen - und Lymphgefäßen heute einen festen Stellenwert. Dennoch gehen die Kenntnisse über die Vielfalt der Kompressionstherapie und anderer entstauuende Verfahren und ihrem breiten klinisch Nutzen schrittweise verloren. Die Anzahl der Ärzte, die sich in physikalischer Medizin weiterbildet, sinkt und in den Ausbildungskatalogen der Allgemeinmediziner, Chirurgen und Internisten kommt das Thema Kompression und Entstauung nicht vor. Die Kompressionstherapie und andere entstauuende Verfahren werden aus Unkenntnis nicht angewandt und es fehlt ein entsprechendes Fortbildungsangebot für Ärzte. Auf der anderen Seite sieht die Medizin sich mit einer Vielzahl von Herausforderungen konfrontiert, für die die Kompressionstherapie von großem Nutzen ist. Dazu gehören neben den klassischen Indikationen wie der Thromboseprophylaxe und – therapie, der Behandlung der chronisch venösen Insuffizienz, des Lymphödems und Lipödems weitere bisher wenig beachtete Indikationen wie die chronische Rechtsherzinsuffizienz, die Adipositas und die Inaktivitätsödeme der älteren pflegebedürftigen Menschen. Eine aktuelle kanadische Studie stellt den Nutzen der Kompressionstrümpfe komplett in Frage. In dieser randomisierten Studie erhielten 410 Patienten mit Erstmanifestation einer proximalen Thrombose einen Kompressionsstrumpf der Klasse 2 und 396 Patienten einen gleichartigen Strumpf allerdings ohne Kompression. Nach 24 Monaten hatten in beiden Gruppen 4,2% bzw. 4,1% d er Teilnehmer ein florides Ulkus cruris (Kahn SR et al., 2014). So interessant wie diese Studie ist, so wenig aussagekräftig ist sie. Zu keinem Zeitpunkt wurde kontrolliert, wie oft die Strümpfe denn auch wirklich getragen wurden. Wichtig für den Nutzen ein er Kompressionstherapie ist, dass der richtige Patient, die richtige Kompression erhält und dies auch anwendet.

 

Ulcus cruris venosum, arteriosum, mixtum – Was behandele ich zuerst?

Therapie der chronisch venösen Insuffizienz heißt Therapie der venösen Hypertonie. Dabei steht die konsequente Kompressionstherapie ganz im Vordergrund. Ohne Kompressionstherapie nützt die beste Wundversorgung nichts. Menschen mit einem Ulkus cruris haben aber häufig nicht nur eine Erkrankung Ihrer Venen die das Ulkus auslöst, sondern eine Vielzahl anderer Erkrankungen, die zum einen die Ausbildung eines Ulkus cruris begünstigen und zum anderen bei der Therapie des Ulkus cruris berücksichtig werden müssen. Dabei zählt die periphere arterielle Verschlusskrankheit (PAVK) und die diabetische Polyneuropathie (PNP) zu den häufigen Komorbiditäten von Patienten mit einem Ulcus cruris. Die Indikation für das Anlegen eines Kompressionsverbandes ist von einem Arzt festzustellen, da er auch die Verantwortung für die Beachtung der Kontraindik ation (PAVK, PNP) übernimmt. Eine Studie mit 101 Patienten im Alter von 80 und 90 Jahren und insgesamt 119 Ulzera ergab, dass nur etwa zwei Drittel der Ulcera vorwiegend auf reine venöse Probleme zurückzufürhen waren. Bei den anderen Patienten spielten neben der PAVK und des Diabetes rheumatoide Erkrankungen und ihre immunsupressiven Therapien, Vakulitiiden, die Herzinsuffizienz, lymphatische Abflussstörung, Gelenkversteifungen und Infektion eine wichtige Rolle (Fassiadis, et al. 2002). Obwohl die Kompression meistens die kausale Therapie des Ulkus cruris darstellt, bedarf es einer sorgfältigen Abwägung andere Ursachen. So ist eine Kompressionstherapie bei einer fortgeschritten PAVK oder einer PNP sogar gefährlich.

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