Moderation: Prof. Dr. Volker Großkopf, Köln
Referenten: Prof. Dr. Martin Storck, Karlsruhe; Prof. Dr. Peter Kujath, Lübeck; Josef Hug, Karlsruhe; Dr. Gerd Lulay, Rheine; Kerstin Protz, Hamburg
Die Kompressionstherapie ist eine wesentliche Säule der Behandlung des Ulcus cruris venosum. Im Rahmen des 13. Gesundheitspflege - Kongresses des Springer Medizin Verlags in Hamburg machte die Expertengruppe des Medical Data Institute diese wichtige Therapieform zum Thema eines zweieinhalbstündigen Pflegekollegs.
Der Kölner Rechtswissenschaftler Professor Dr. Volker Großkopf moderierte diesen interprofessionell besetzten Workshop, der den Teilnehmern aktuelle Erkenntnisse und neue Entwicklungen zum Themenfeld Kompressionstherapie vermittelte. Eingangs erläuterte Professor Dr. Martin Storck, Direktor der Klinik für Gefäß-und Thoraxchirurgie am Städtischen Klinikum Karlsruhe, Grundsätzlichkeiten zur Kompressionstherapie. Professor Storck stellte die verwendeten Materialien, deren Anwendung und Wirkung vor und umriss die Studienlage hinsichtlich der Kompressionstherapie. Er unterstrich dabei, dass eine klare Indikation vorliegen sollte, wenn Kompressionstherapie zum Einsatz kommt. Der Patient habe, darin stimmte er abschließend mit Professor Großkopf überein, auch aus rechtlicher Hinsicht den Anspruch auf eine adäquate Kompressionstherapie bei vorliegendem Ulcus cruris venosum. Hierfür sei es, so Professor Storck, notwendig, Ärzte und Pflegefachpersonal gleichermaßen in der Theorie und Praxis der Kompressionstherapie zu schulen.
Professor Dr. Peter Kujath, Gefäßchirurg am Westküstenklinikum in Heide, sieht Mediziner teilweise in der „Evidenzfalle“, in die sogar hoch bewertete Leitlinien unter gewissen Umständen führen können, wie er am Beispiel der S3-Leitlinie „Prophylaxe der venösen Thromboembolie“ der AWMF (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften) ausführte. Eine mit dem Evidenzgrad S3 bezeichnete Leitlinie ist die höchste Form der Konsensusfindung anerkannter Experten und stellt eine Handlungsempfehlung dar. Der wissenschaftliche Begriff der Evidenz, so Professor Kujath, leite sich aus der Empirie ab und setze Objektivität und Wiederholbarkeit voraus. Der oft gleichwertig verwendete englische Begriff „evidence“ sei deutlich schwächer und habe eher vorschlagenden Charakter. Während aktuelle englischsprachige Leitlinien eine Versorgung mit medizinischen Thromboseprophylaxestrümpfen (MTPS) als Bestandteil einer Prophylaxe der venösen Thromboembolie sehen, bezeichnet die aktuelle Fassung der AWMF S3-Leitlinie den Einsatz von MTPS als optional und sieht die medikamentöse Prophylaxe als ausreichend an. Professor Kujath führte diesen Unterschied zu internationalen Standards und der Aussage der vormaligen Fassung der Leitlinie auf ein Missverständnis der Studienlage zurück. Auf Nachfrage von Professor Großkopf bestätigte er, dass in seinem Klinikum die Versorgung mit MTPS fester Bestandteil der Prophylaxe der venösen Thromboembolie sei.
Josef Hug, Pflegedirektor am Städtischen Klinikum Karlsruhe, arbeitet aktuell an einem Projekt mit der Zielsetzung, das Klinikum zum ersten„thrombosefreien Krankenhaus“ zu machen. Er stellte die Schritte der Realisierung dieses ehrgeizigen internen Zieles vor, die dazu führen werden, die Versorgung der Patienten auf hochwertige MTPS umzustellen. Josef Hug nahm hierbei für sich in Anspruch, zwar aus Sicht des Managements zu berichten, unterstrich aber, dass sein Ansporn für dieses Ziel auch aus seiner Zeit als Intensivpfleger resultiert, in der er Zeuge der tödlichen Auswirkungen von mangelnder Thromboseprophylaxe geworden sei. Er betonte, dass MTPS insbesondere die Patientensicherheit erhöhen, was daran zu erkennen sei, dass krankenhaus-erfahrene Patienten oft nach solchen Strümpfen fragen. Hinsichtlich des Bewusstseins für die Prophylaxe auf Seiten des Personals bestünde allerdings noch Verbesserungsbedarf, so Josef Hug. Der erste Schritt auf dem Weg zum „thrombosefreien Krankenhaus“ war ein Testversuch auf drei Stationen, einer allgemeinen Chirurgie, einer Gefäß-und Thoraxchirurgie und einer gynäkologischen Station, die jeweils aufgrund des hohen Bedarfs an medizinischen Thromboseprophylaxestrümpfen ausgewählt wurden. Eine Evaluation Anfang nächsten Jahres wird 200 Patienten erfassen und den tatsächlichen Erfolg des Projektes „thrombosefreien Krankenhauses“ am Klinikum Karlsruhe abbilden.
Nach Ansicht des Leiters des Gefäßzentrums Nord-West in Rheine, Dr. Gerd Lulay bedürfe die ernsthafte Delegation ärztlicher Leistungen eines neuen Berufsbildes auf Seiten der Pflege. Der sogenannte „Physician Assistant“ sei in den USA seit den 60erJahren etabliert und habe auch in der ehemaligen DDR existiert. Dr. Lulay stellte den Studiengang vor, der seit vier Jahren an der Mathias Hochschule in Rheine existiert und umriss dessen Inhalte. Der Bachelorstudiengang beinhaltet eine Theorie-Praxisvernetzung, die durch einen Praxiskatalog vorgegeben sei und befähige die Absolventen beispielsweise zu Tätigkeiten im Bereich der Delegation, Kenntnisse spezieller gerätebasierter Diagnosemethoden oder selbst Schulungen an Geräten anzuleiten. Ein aufbauender Masterstudiengang befähigt schließlich zum wissenschaftlichen Arbeiten. Anschließend widmete sich Dr. Lulay dem Themenfeld der Lymphologie, insbesondere unter dem Gesichtspunkt der in der Therapie von Lymphödemen auftretenden Behandlungsfehler. Die Klinik in Ochtrup im Gefäßzentrum Nord-West geht nach einem Behandlungskonzept vor, dass die vollständige Entstauung des Lymphödems per komplexer physikalischer Entstauungstherapie (KPE) nach 14 Tagen anstrebt. Es sei wesentlich, so Dr. Lulay, auch die Kostenträger für die Möglichkeiten und Erfordernisse der Therapie zu sensibilisieren. Ein Argument sei das Sparpotenzial. Aber auch auf die flächendeckende Vermittlung der Methoden käme es an. Was nütze es, so fragte Dr. Lulay abschließend, wenn nur Ärzte die Kenntnisse besitzen.
In ihrem abschließenden Vortrag vermittelte Kerstin Protz, Projektmanagerin Wundforschung im Comprehensive Wound Center des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf aktuelle Studien zur Verbreitung des Wissens um Material und Methoden der Kompressionstherapie beim Ulcus cruris venosum. In einer deutschlandweiten Studie ermittelte Kerstin Protz Defizite auf Seiten der Versorger. Von 891 befragten Pflegefachkäften, medizinischen Fachangestellten und Ärzten hatten lediglich 12% gelernt, eine Wickelung zu unterpolstern. Mehrkomponenten und Ulcus-Strumpfssysteme waren 85% der Studienteilnehmer nicht bekannt. In einem Praxistest gelang es nur jedem zehnten Anwender -9,2% von 551 Teilnehmern -einen therapierelevanten Zielwert mit einer Kompressionsbandagierung zu erreichen. Anhand einer weiteren, noch nicht publizierten Studie zeigte Kerstin Protz Defizite in der Versorgungspraxis auf und wies auf den größtenteils unsachgemäßen Umgang mit den verordneten Materialien hin. Schulungen, sowohl des medizinischen und pflegerischen Personals als auch der Patienten, so folgerte Kerstin Protz, seien dringend geboten. Mit dem Wrap-Verband JuxtaCures stellte sie ein Produkt vor, das eine Alternative zur traditionellen Kompressionswicklung darstellt. Das adaptive Klettsystem ermöglicht es dem Patienten, seine Kompressionsversorgung eigenständig anzulegen und den Anlagedruck selbst einzustellen. Abschließend umriss Kerstin Protz die Grundsätzlichkeiten der Kompressionsbandagierung, die nach spätestens vier Wochen zu einer Entstauung führen sollte, woraufhin die Versorgung auf Ulcus-Strumpfsysteme umzustellen sei. Zudem wies sie auf die Notwendigkeit der Unterpolsterung einer jeden Kompressionsbandagierung hin, von der auch der verordnende Arzt überzeugt werden müsse.
Das Pflegekolleg live des Medical Data Institute verdeutlichte, dass vielen Anforderungen der Kompressionstherapie durch eine weitere Professionalisierung der Versorger begegnet werden kann. Grenzen dieser Therapieform, so wurde deutlich, treten vor allem dort auf, wo die Möglichkeiten noch nicht ausgeschöpft sind.