60. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie (DGP) vom 26. bis 29. September in Bielefeld

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Evidenz, Kosten und Möglichkeiten der modernen Kompressionstherapie

V.l.n.r: Prof. Dr. med. Knut Kröger, Prof. Dr. med. Markus Stücker, Kerstin Protz, Prof. Dr. med. Joachim Dissemond

(Bielefeld) Die 60. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie (DGP) fand vom 26. bis zum 29. September 2018 in Bielefeld statt. Die Kongresse der DGP widmen sich, neben der Information über neue Verfahren und Entwicklungen, insbesondere dem interdisziplinären Austausch aller an der Versorgung von venenkranken Menschen beteiligten Berufsgruppen. Die Expertengruppe des Medical Data Institute (MDI) thematisierte in einer gut besuchten Sitzung  die neuesten Erkenntnisse zur Kompressionstherapie und stellte aktuelle Studien vor.

Die örtliche Nähe zum Teutoburger Wald und dem dort stehenden Hermannsdenkmal inspirierte die Kongressleitung der 60. Jahrestagung zu dem Kongressmotto „Auch HeldInnen haben kranke Beine“. Die Fachexperten des MDI erläuterten am Samstagmorgen die aktuellen Aspekte der Versorgung von Patienten mit Ulcus cruris venosum, dem sogenannten „offenen Bein“. Dabei präsentierte die interdisziplinär und interprofessionell zusammengesetzte Gruppe Innovationen und neue Daten zur Kompressionstherapie, die eine wesentliche Säule der Versorgung dieses Krankheitsbildes ist.

Laut Professor Dr. Markus Stücker orientiert sich der Einsatz von Kompressionsmaterialien heutzutage mehr an den individuellen Symptomen der Patienten als an starren Diagnosen. So erfolge die Verordnung von medizinischen Kompressionsstrümpfen nicht bei generell bei allen Patienten mit einem postthrombotischen Syndrom, sondern in erster Linie bei den Betroffenen, zu deren Symptomen die Therapieform passe. Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie erläuterte in seinem Vortrag über die Evidenz in der Kompressionstherapie zudem die aktuellen Studien und Untersuchungen und zeigte deren Bedeutung für die Versorgung von Menschen mit Venenerkrankungen auf. Stücker wies dabei auf einen Paradigmenwechsel hin, der das Wohl und die Absichten des Patienten mehr in den Mittelpunkt der Kompressionstherapie stellt als bisher. Laut Stücker könne die Einstellung der Betroffenen gegenüber dieser Therapieform - oft mit dem Fachbegriff der Adhärenz bezeichnet - sich verbessern, wenn die Patienten entsprechend in versorgerische Entscheidungen mit eingebunden werden.

Eine aktuelle Studie zu den verschiedenen Möglichkeiten, die für eine sachgerechte Kompressionstherapie in der Entstauungsphase zur Verfügung stehen, stellte Kerstin Protz vor. Sie arbeitet als Projektmanagerin Wundforschung am Uniklinikum Hamburg-Eppendorf und stellte in ihrer Untersuchung drei Therapieoptionen im praktischen Test einander gegenüber: Bandagierungen aus Kurzzugbinden mit Unterpolsterung, Mehrkomponenten-Fertigbindensysteme und adaptiven Kompressionsbandage, sogenannte Klettbandagen. In einer bundesweit angelegten Erhebung führten dabei spezialisierte Pflegefachkräfte und andere erfahrene Wundversorger mit diesen Materialien über 300 Kompressionsbandagierungen durch. Die weit verbreiteten Kompressionsverbände mit Kurzzugbinden zeigten sich hierbei den seit fast 20 Jahren erhältlichen Mehrkomponentensystemen und den aktuellen adaptiven Kompressionsbandagen in den Aspekten Handhabung, Therapieeffizienz und Tragegefühl deutlich unterlegen. „Die adaptiven Kompressionsbandagen gewährleisteten dabei am zuverlässigsten den vorgegebenen Zieldruckwertbereich“, berichtete Protz. In ihren Untersuchungen konnte die Hamburger Fachautorin zudem darlegen, dass eine Vielzahl der Bandagierungen mit Kurzzugbinden in Deutschland nicht sachgerecht ausgeführt werden. „Obwohl es bessere Therapieoption gibt, sind die Kurzzugbinden immer noch Mittel der ersten Wahl in der Kompressionstherapie“, so Protz: „Es wird Zeit, insbesondere zur Stärkung der Adhärenz der Betroffenen, die modernen Alternativen stärker in den Fokus zu nehmen.“

„Deutschland ist seit mehreren Jahrzehnten ein Kurzzugbindenland“, unterstrich Professor Dr. Joachim Dissemond diese Ausführungen. Der Ressortleiter der MDI-Expertengruppe erläuterte im nachfolgenden Vortrag  eine Untersuchung, die sich den Kosten widmete, die verschiedene Therapieoptionen der Kompressionsversorgung im klinischen Alltag verursachen. Untersucht wurden dabei auf der dermatologischen Station des Uniklinikum Essen unter anderem die Kosten und der zeitliche Aufwand von Kompressionsversorgungen mit Kurzzugbinden und Fertigbindensystemen beim Einsatz am Patienten. Die Ergebnisse verdeutlichen die ökonomischen Nachteile der Kompressionsversorgungen mit Kurzzugbinden gegenüber modernen Alternativen. Anschließend griff Dissemond den Aspekt der Adhärenz des Patienten noch einmal auf, die ein wesentlicher Faktor für das Gelingen der Versorgung sei. „Grundlage dafür, dass der Patient erfährt und versteht, was er zur Therapie beitragen kann, ist die Edukation“, erläuterte der Essener Dermatologe: „Leider wird diese Leistung nicht adäquat erstattet.“ Entgegen ihrer Selbsteinschätzung seien die meisten Patienten nicht in der Lage, sich sachgerecht selbst mit Kurzzugbinden Kompressionsverbände anzulegen, so Dissemond. Adaptive Kompressionsbandagen, die nach einer kurzen Einführung von Betroffenen, die noch ausreichend beweglich sind, angelegt werden können, sieht er als zeitgemäße Möglichkeit, das Selbstmanagement der Patienten zu unterstützen. Nach Umstellung der Versorgung auf medizinische Kompressionsstrümpfe, werden entsprechend An- und Ausziehhilfen mitverordnet, die einen weiteren selbständigen Umgang mit der Kompressionstherapie ermöglichen.

In seinem abschließenden Vortrag erläuterte Professor Dr. Knut Kröger aktuelle Aspekte der Versorgung mit medizinischen Kompressionsstrümpfen, die im Anschluss an die Entstauung der Beine und zur Prävention zum Einsatz kommen. Unter der Fragestellung „Welche Kompressionstherapie für wen?“ machte er anhand einer Reihe anschaulicher Fallgeschichten auf die spezifischen Herausforderungen der Verordnung von medizinischen Kompressionsstrümpfen aufmerksam. Als hilfreiche und praxisnahe Handhabe stellte der Krefelder Angiologe anschließend die von ihm ausformulierte Kompressionslogik vor. Dieses Schema orientiert sich an der Festigkeit des Strumpfmaterials, das innerhalb jeder Kompressionsklasse von dünn bis fest variieren kann. „Anstelle der Kompressionsklasse stehen hier bei der Verordnung die Materialeigenschaften im Vordergrund“, so Kröger. So wird eine individuelle, dem Patienten angepasste Strumpfversorgung, ermöglicht. Wenn es sich bei dem jeweiligen Betroffenen um eine schlanke Person handelt, die nicht zu Ödemen neigt, kann eine leichte Strumpfversorgung völlig ausreichend sein. Je mehr Beinumfang der Betroffene aufweise, desto festeres Strumpfmaterial empfiehlt sich, so Kröger. Auch angesichts der modernen adaptiven Kompressionsbandagen, deren Produktpalette sich in nächster Zeit vergrößern wird,  empfiehlt es sich, verbindliche Kriterien zur Beurteilung zu definieren. Als entsprechenden Aspekt benannte Kröger die Möglichkeit, die Klettbandagen selbst anlegen und nachjustieren zu können, was mit der Anzahl und die Lage der Klettverschlüsse des jeweiligen System zusammenhänge. Weitere wesentliche Gesichtspunkte sind nach Krögers Ansicht der Aufschluss über bestehende Kompressionsdruckwerte durch Markierungen auf der Bandage, Haltbarkeit des verwendeten Materials und verfügbare Größen der einzelnen Modelle.

Im Zuge der Überalterung der Gesellschaft ist in den kommenden Jahren mit einer Zunahme des Krankheitsbildes Ulcus cruris venosum zu rechnen. Die Kompressionstherapie ist eine Säule der Versorgung dieser Patienten und Basis der Abheilung dieser weit verbreiteten chronischen Wunde. Somit kommt der sachlich korrekt ausgeführten Kompressionstherapie auch zukünftig eine große Bedeutung im praktischen Alltag der pflegerischen und medizinischen Wundversorger zu. Die von der Expertengruppe des MDI im Rahmen der 60. Jahrestagung der DGP präsentierten Aspekte, Daten und aktuellen Informationen bieten hierfür eine wesentliche und wertvolle Grundlage. 

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