Neue Entwicklungen in der Kompressionstherapie
Starnberg, 6. Oktober 2015 – Venenerkrankungen sind ein weit verbreitetes Gesundheitsproblem: Wie die 1. Bonner Venenstudie1 zeigen konnte, weisen in Deutschland weit mehr als die Hälfte aller Erwachsenen Veränderungen ihres Venensystems auf. Rund ein Viertel leidet an Krampfadern, und etwa 17% – jeder sechste Mann und jede fünfte Frau – sind von einem symptomatischen Venenleiden betroffen, das ärztlich behandelt werden muss. Eine Basismaßnahme zur Behandlung von Patienten mit Venenerkrankungen ist die Kompressionstherapie. Im Rahmen einer wissenschaftlichen Sitzung anlässlich der 57. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie in Bamberg referierten renommierte Experten über aktuelle Studienergebnisse und Neuentwicklungen im Zusammenhang mit dieser etablierten und hoch wirksamen Behandlungsmethode.
„Panta Rhei“ – alles fließt“: Unter diesem Motto trafen sich vom 23.–29. September 2015 in Bamberg rund 1.000 Teilnehmer aus verschiedenen medizinischen Fachbereichen von der Phlebologie über die Gefäßchirurgie und Dermatologie bis hin zur Angiologie, Gynäkologie und Inneren Medizin, außerdem Physiotherapeuten, medizinische Fachangestellte und Hilfs-mittelversorger. „Alles im Fluss“, so Professor Dr. Markus Stücker, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie e. V. (DGP), „diese Beschreibung trifft auch auf die Kompressionstherapie zu und könnte passender kaum sein“. Seit Langem bewährt, gebe es doch immer wieder neue Studienergebnisse und medizinische Hilfsmittel rund um die Behandlungsmethode der Kompressionstherapie kennenzulernen. Einige davon wurden im Rahmen der Wissenschaftlichen Sitzung „Kompression aktuell“ vorgestellt.
Nach phlebologischen Interventionen gilt die Kompressionstherapie als Routinemaßnahme. Sie wird dementsprechend auch in den Leitlinien der DGP mit dem höchsten Empfehlungsgrad (1A) bewertet [2]. Wie Dr. Ingo Flessenkämper vom Helios Klinikum Emil von Behring in Berlin-Zehlendorf berichtete, trägt die Kompression nach Verödungsbehandlungen und Varizenoperationen dazu bei, Schmerzen, Schwellungen, Ödeme und Krämpfe zu lindern, Rezidiven vorzubeugen und Behandlungsfolgen wie Hämatome und Hyperpigmentierungen zu reduzieren. „Auch die Entstehung von Umgehungskreisläufen kann durch Kompression verhindert werden“, so der Chirurg. Damit sei die Kompressionstherapie nach invasiven Varizenbehandlungen unverzichtbar. „Evidenz aus Studien gibt es für eine einwöchige Behandlungsdauer, im deutschsprachigen Raum wird erfahrungsgemäß jedoch länger therapiert“. Zur Dauer der Behandlung seien daher weitere Untersuchungen erforderlich. „Entscheidend ist aber vor allen Dingen die Qualität der Kompression: Sie muss indikationsgerecht und individuell erfolgen“, forderte Flessenkämper.
Bereits seit Langem bewährt ist die Kompressionstherapie mit Strümpfen in der Dauertherapie bei Patienten mit Erkrankungen im venösen oder lymphatischen System. Medizinische Kompressionsstrümpfe sind in vier Kompressionsklassen erhältlich; es gibt sie von einer leichten Kompression mit 18–21 mmHg in Klasse 1 bis zu einer sehr kräftigen Kompression mit mindestens 49 mmHg in der Klasse 4. Verwendet werden üblicherweise unterschenkellange Strümpfe mit einem degressiven Druckgradienten, bei denen der Andruck der Strümpfe von distal nach proximal abfällt. Professor Dr. Michael Jünger, Direktor der Klinik und Poliklinik für Hautkrankheiten an der Universität Greifswald, stellte verschiedene Studien vor, in denen der umgekehrte Druckverlauf, also ein progressiver Druckgradient von distal nach proximal, geprüft wurde. „Die Studienergebnisse zeichnen kein klares Bild. Je nachdem, welchen Parameter man betrachtet, sind entweder die Strümpfe mit degressivem oder die mit progressivem Druckverlauf überlegen. So bewerten Patienten den Tragekomfort der Strümpfe mit progressivem Gradienten als signifikant besser, im Hinblick auf die venöse Abpumpleistung waren dagegen Strümpfe mit degressivem Verlauf besser“, erläuterte Jünger. Auch hier bestehedemnach noch Forschungsbedarf, schlussfolgerte der Dermatologe.
Eine weitere Methode zur Prophylaxe und Therapie venöser oder lymphatischer Erkrankungen, die in Deutschland allerdings eher selten angewendet wird, ist die intermittierende pneumatische Kompression (IPK). Wie Dr. Franz-Josef Schingale, Ärztlicher Leiter der Lympho-Opt-Fachklinik für Lymphologie in Hohenstadt-Pommelsbrunn, sagte, eignet sich die IPK sowohlzur Thromboseprophylaxe, als auch zur Behandlung des postthrombotischen Syndroms, des Ulcus cruris, von venösen und posttraumatischen Ödeme, Lymph- und Lipödemen sowiedes diabetischen Fußsyndroms. „Um die mit der IPK erreichten Behandlungsergebnisse zuerhalten, muss die Behandlung im Anschluss mit Kompressionsstrümpfen fortgesetzt werden“, so der Lymphologe. Studienbedarf bestehe zur vergleichenden Untersuchung von Gerätenund Manschetten sowie von unterschiedlichen Drücken.
Offene Fragen gibt es auch noch im Hinblick auf die Bewertung der Kompressionstherapie bei Patienten mit akuten Venenthrombosen. „Die Kompression einfach wegzulassen ist zwar sicherlich billiger und führt nicht zu Complianceproblemen bei den Patienten, die meisten Betroffenen leiden dann aber unter mehr Schmerzen. Außerdem steigt die Ulkus-Inzidenz, es kommt häufiger zum postthrombotischen Syndrom und die Ödemreduktion ist geringer“, berichtete Professor Partsch aus Wien. Wünschenswert seien Studien, in denen Patienten mit akuter tiefer Venenthrombose bei vergleichbarer Antikoagulation entweder sofort – ohne Zeitverzögerung– eine Kompression erhalten, oder aber keine entsprechende Therapie bekommen, forderte der Dermatologe.
Das Thema Qualität sei auch in der Behandlung von Patienten mit Beinulzera von großer Bedeutung, betonte Kerstin Protz, Projektmanagerin Wundforschung im Comprehensive Wound Center (CWC) des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf. „Das Anlegen des Verbands zur Behandlung akuter Venenerkrankungen bedarf einer gewissen Übung und Erfahrung, damiter weder zu fest noch zu locker sitzt und genau den erforderlichen Druck auf das Bein ausübt“, machte Protz deutlich. In der praktischen Umsetzung gebe es dabei erhebliche Defizite.So hätte eine Querschnittstudie gezeigt, dass die Andruckwerte der von ambulanten Pflegekräften frisch angelegten Kompressionsverbände in einem Bereich zwischen 11 und 80mmHg variierten [3]. „Benötigt werden jedoch Drücke zwischen 30 und 50 mmHg“, so die Wundmanagerin.Verbessern ließe sich die Therapiequalität einerseits durch regelmäßiges Training unter Anleitung und mit Druckkontrollen, sowie andererseits durch den Einsatz fertiger Bindensystemeund Kompressionsbandagen-Systeme. „Letztere können sogar vom Patientenselbst angelegt werden und garantieren eine stabile Kompression auf dem verordneten Niveau“, betonte Protz.
Professor Dissemond bestätigte abschließend, dass es derzeit eine Vielzahl von Neuentwicklungenauf dem Kompressionsmarkt gibt, die eine individualisierte Therapieauswahl ermöglicht.„In den USA gibt es mittlerweile verschiedene innovative Kompressionsbandagen-Systemezur Behandlung des Ulcus cruris, die vom Patienten selbst angelegt werden können und so eine auf die Bedürfnisse der Betroffenen abgestimmte Therapie ermöglichen“, sagte Dissemond," bis auf eine Ausnahme (Handelsname medi juxtacures) sind diese Neuentwicklungenallerdings nur im Ausland erhältlich".
Quellen
1. Rabe E et al., Phlebologie 2003; 3
2: 1–142. http://www.phlebology.de/leitlinien-der-dgp-mainmenu/280-leitlinie-zur-diagnostikund-therapie-der-krampfadererkrankung
3. Protz K et al., J Dtsch Dermatol Ges 2014; 12: 794–801